back...Eugenia Pol – die zwei Gesichter der Aufseherin des deutschen Lagers an der Przemysłowa in Lodz
Ich kann nicht verstehen, wie es möglich ist, dass Eugenia Pol zwei so unterschiedliche Gesichter in sich verbarg. Bei der Arbeit in der Kinderkrippe war Gienia eine tadellose und wohlwollende Person. Sie war unglaublich fürsorglich gegenüber den Kindern (...). Es ist mir unbegreiflich, dass sie einige Jahre zuvor als Aufseherin eines Lagers für polnische Kinder so schreckliche und grausame Taten an Kindern vollbringen konnte – sagte Marianna Tomasik, die nach dem Krieg in derselben Kinderkrippe wie Eugenia Pol arbeitete, in einem Interview mit einem Historiker des Museums.
Eugenia Pol – eine Aufseherin im deutschen Konzentrationslager für polnische Kinder an der Przemysłowa, arbeitete nach dem Krieg mehrere Jahre lang als Intendantin in einer Lodzer Kinderkrippe. Die Vorgesetzten am Arbeitsplatz der Volksrepublik Polen überprüften ihren Hintergrund nicht. In den 1970er Jahren, sagten einige Zeugen, die den Albtraum des Lagers als Kinder überlebt hatten, während des viel beachteten Prozesses gegen die ehemalige Wachfrau aus, dass sie panische Angst vor der Pol hatten.
„Jede von uns, die wir damals in der Küche arbeiteten, musste sich hinlegen, und ein ausgewähltes Mädchen schlug uns unter der Aufsicht von Eugenia Pol. Die Pol stand neben ihr und beobachtete, ob sie hart genug zuschlug, und zählte die Schläge. Die Pol war immer zufrieden, wenn sie jemanden bestrafte. Sie verteilte die Prügelstrafen mit einem Lächeln im Gesicht“– erklärte Jadwiga Starosta, eine ehemalige Insassin des Lagers an der Przemysłowa.
„Im Jahr 1942 wurde ich in das Lager in Lodz gebracht. Da war die Angeklagte Pol, die uns schlug (...). Wenn man die Arbeit nicht erledigte, bekam man Prügel. Die Angeklagte schlug uns mit der Peitsche. Sie schlug hart zu und gab ganz und gar nicht vor, zu schlagen (...). Die Angeklagte leitete die Froschsprungübungen, Tag und Nacht. Wir mussten die Arme hochstrecken und in der hockenden Position springen” – erinnert sich Teresa Stefaniak.
Im Januar 1945, kurz vor dem Eintreffen der sowjetischen Truppen, floh die Aufseherin der kleinen Häftlinge mit dem restlichen Personal aus dem Lager. Allerdings verließ sie Lodz nicht. Nach dem Krieg wohnte sie unter ihrer alten Adresse. Obwohl Pol die Volksliste unterschrieben hatte, wurde sie im Jahr 1949 vom Bezirksgericht in Lodz vom Vorwurf der „Abwendung von der polnischen Nationalität” freigesprochen.
Pol fand eine Anstellung im Büro der Zakłady Metalowe [der Metallwerke, Anm. d. Übers.] Nr. 10. Außerdem entwickelte sie ihre sportlichen Fähigkeiten im Sportverein „Łodzianka”.
Im November 1956 wurde sie dank der Gunst einer Bekannten, die sie bei einem verwaltungstechnisch-kaufmännischen Abendkurs kennengelernt hatte, als Intendantin in der Kinderkrippe der Zakłady Przemysłu Bawełnianego im. Armii Ludowej in Lodz eingestellt.
„Während ihrer Zeit in unseren Werken gab sie sich als gute Mitarbeiterin zu erkennen. Sie machte ihre Arbeit tadellos. Sie ist eine disziplinierte, gewissenhafte und kollegiale Mitarbeiterin. Sie genießt bei den Vorgesetzten und Kollegen einen guten Ruf” – heißt es in einer Stellungnahme der Direktion.
Die positive Meinung über Eugenia Pol wurde durch Zeugen ihrer Arbeit bestätigt. Sie sagte aus, dass sie freundlich, fleißig und wohlwollend zu allen war, insbesondere zu den Kindern.
– Gienia Pol war eine wandelnde Freundlichkeit und Ehrlichkeit. Als Intendantin hätte sie es niemals gewagt, irgendwelche Produkte zu nehmen, die für die Kinder bestimmt waren (...). Ich kann nicht verstehen, wie es möglich ist, dass Eugenia Pol zwei so unterschiedliche Gesichter in sich verbarg. Bei der Arbeit in der Kinderkrippe war Gienia eine tadellose und wohlwollende Person. Sie war zu den Kindern unglaublich liebevoll– erinnert sich Marianna Tomasik, die nach dem Krieg in der gleichen Kinderkrippe wie Eugenia Pol arbeitete.
Die Wachfrau aus dem Lager an der Przemysłowa behauptete vor Gericht, dass die Leitung der Kinderkrippe von ihrer Vergangenheit wusste. Zeugen bestritten dies und behaupteten, Pol habe nie über ihr Schicksal gesprochen. Sie sagte lediglich, dass sie während des Krieges „mit Kindern” gearbeitet habe.
– Es ist mir unbegreiflich, dass sie einige Jahre zuvor als Aufseherin eines Lagers für polnische Kinder so schreckliche und grausame Taten an Kindern vollbringen konnte – fügte Marianna Tomasik hinzu.
Am 11. Dezember 1970 wurde Eugenia Pol aufgrund eines Beschlusses der Prokuratura Wojewódzka [der Woiwodschaftsstaatsanwaltschaft, Anm. d. Übers.] in Lodz festgenommen und vorübergehend inhaftiert. Sie wurde des Mordes an sechs Kindern angeklagt. Das Gericht erkannte nur in zwei dieser Fälle die Beweise für eine Mittäterschaft an. Die Täterin wurde zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren verurteilt.
Eugenia Pol wurde nach 19 Jahren freigelassen – kraft der Amnestie des Jahres 1989. Sie kehrte nach Lodz zurück, wo sie drei Jahre lang unter Bewährungsaufsicht stand. Sie starb im Jahr 2003 in Freiheit.